Monik Sos
Lyrik




- provinzvers -


gelobt die kuckucksuhr in der pforte

gelobt sei das weißkraut in der terrine
die spraydosenkähne auf silbriger spray

der soldat auf wache in frostiger nacht träumt
mit den tönen des radios am koppel
die umarmung der paare im funkturmlicht
bricht die nacht das geschrei der hure beim posten dort drüben
wärmt er seine hand
wähnt die braune knospe an seinen lippen
die leichte salzige brise vom rande ihrer grünen linie

die drähte des grenzbahnhofs morsen dem nebligen morgen
EINEN ANGENEHMEN AUFENT HALT
beton klopft der stumpf der einbeinigen taube
wasserstrahl dampf unterm waggon
rot blinkt die laterne
^


der bierkutscher

dienst ist dienst und schnaps ist schnaps,
peitscht der biermann dem pferd
und zieht seinen flachmann aus der tasche
^


sechs arme kindlein

sechs arme kindlein
wollten nicht nach haus
sie liefen in den wald hinein
des räubervaters händelein
die fee im kämmerlein
hielt aus

die brave fee
bot ihr herzelein
kribbeln von hüft bis zeh
das röcklein sie hob ohne weh
kommt schnell, oh fein
arme kindlein
^


walkman talk again

sieh des engels schritt und tanz / kein ton läuft mir ins ohr und
perlt / ein tropfen öl / und funkenflug stiebt unterm hallenbogen /
und schall wiegt mich / in ihm bin ich verwoben / schlag an das
instrument / die straße macht den ton / schon keinen laut /
schrei laut und weck die quellen / daß sie in gassen wellen / no
unbehagen trag die hatz in meinen schritt / no blick make klick /
wenn ich hinter der hex über die mauer fetz
^


am teufelsberg

birke in papierner haut
narbe gras und ziegelstau
stahl und schutt
die dame zupft ihr tuch
drachen schaun und steigen
der schwimmer zuckt
die leine ruckt im grund
der mund bleibt stumm
auf dem dach von berlin
ein gipfel saugt
wind und laut
^


was bleibt

in einer stadt
ein flugzeug durchfliegt die mauer rauch und schall:
··································· unser gemeinsamer laut
(allüberall ist wer auf wacht)
······························ bersten im gewölk
··············· echo im draht
dein atem zur nacht
··············· dein und mein laut
······························ regen
über der stadt:
unsre osmotische haut
^


provinzvers

der nachbar hebt zu fliegen an
im haus der erwin spielt mit seinem sohn
das sind alles solche lügen
························ nie wird ein mensch fliegen
und die karten knallen auf den harten tisch
der nachbar hebt an und des erwins frau kann
kaum ihren augen traun
der nachbar, der kann fliegen
und die frau wischt kurz die lüge
in die schürz mit einer träne und geheul
des nachbars traum zerstob am berg
den du vom turm so grad noch siehst
prost gartenzwerg
^



- kyrie samson -


verkündung

hitze
wölbt ihr gesicht

der engel drängt
licht bricht roten schein

bleiche haut vergib
fleisch fällt vom bein

das lid ruht im gefieder
flügelhauch dämmerreich

licht bricht roten schein
pflüg ein das bein
^


kameradin

provokation
auf der ganzen schönen linie
am morgen streift sie ihr haar
unters tuch stülpt den helm auf
am abend über dich kamerad
^


kyrie samson

auf dem nagelbrett
ein viereinhalbzentnereisen drückt das handtuch
in den magen
rasierklingen im mund reden nicht
gespaltene zunge
BESTAUNEN SIE DIE DICHTEN EINDRÜCKE
im rücken
der brustkorb wägt das zugwerk
zügelt die pferde
der fingerstarke, zahngebogene nagel
(kyrie samson eleison)
^


belästigung

aus ihrem arm des katers grellgrünes aug
den atem raubt und lust. braut im hexensud
mit krötenhaut und säuglingsblut die
lage. und blasige brut liebkosen.
^


einakter

acht glieder weiten den schritt
wand an wand unsere häute
bleibt ein schweißperlenband
vom zügel der meute
^


rückenakt

so sacht der engelflügel auf mein auge drückt
das schulterblatt die sieben häute spannt
klack
············ linse auf die folie bannt
^



- winterdienst -


der schöne 27. november

heut ist ein tag wie smogalarm
und warm ist es bei zuem fenster
kein windchen weht den nebel auf
und ich seh rauchgespenster
von meinem stuhl am fensterbrett
der geist sieht meine nase fett
und breit am scheibenglas
heut ist ein tag wie smogalarm
der nachbarshund macht was
^


schaufenster

verschmiertes glas ··· komm, kost meine haut ··· wölbt mein ge-
sicht sich ··· wend ich an dich mich ··· treibt das aug auf der stra-
ße ··· beim balgenden kind ··· ach, rinde und kern ··· fern ist er,
fern ··· mein busen erbebt ··· feucht meine lippen ··· an meiner
schulter vergeh ··· in meiner achsel schnee ··· taut ··· ich stippe
den hasenfuß ··· hebt er sich eben ··· mir entgegen ··· ich rühr den
schenkel ··· du sinkst im sand ··· ein diamant ··· ist die spitze mei-
ner brust ··· ritz ich dein herz ··· bleib fort schenkelwärts ··· weihe
dich ein ··· mein kühler stein ··· im warmen hort ··· laß deine fühler
^


wasserglas

im wassernaß bricht löffelstiel
und perlentanz als säure fiel
auf bodenglas da regt sich
eine säureblas
^


tätowiert

blutwarm die zahl
bleicher arm

cool glied aus cooler gang
der braut schwillt bunt und eng

die narbe farbe
druckerschwärze labe

tagblatt welkt hin
graue stirn
^


silvesterglücksrakete

die wüste lebt als streugut
und winterreifen haften
ein feuerschweif streift meinen mut
in glücksgenossenschaften
^


winterdienst

da fegt der schwarze besen
die hand streut sand
black panther in der wüste
die pfote samt
und ohne fährte
kehrt und kehre
mit dem besen sei's gewesen
hier der meister, weit die fee
im flockentanz
der sand deckt schnee
^



- flüchtiger kuß -


santorini

das licht da hinten
··· ist der südliche leuchtturm
und die schiffe treiben
··· hin und her zwischen den bojen
··· der grund ist zehn ankerketten tief
··· gleich vor dem viertelmond
der wahre mond
··· ist heute nacht nicht zu sehen
··· nicht die stete wolke
··· die ich wähnte über dem hügel dort drüben
der rest eines vulkans, poröses gestein
dazwischen, wie gesagt, schiffe
··· und bei ankunft und abfahrt flinke barken
vom hafen treiben sie die mulis
··· den hang hinauf, den hang hinab
··· mit geschrei preisen sie ihre tiere
und oben der lederwarenhändler
··· der seinen sack aus plastik
··· am abend mit lederriemen verschnürt
··· sich auf den weg macht
··· in die andere richtung
wo die lichter gleich perlen aufgereiht sind
und keiner weiß
··· sind sie irdisch oder ins dunkel geschleudert
wie die bilder des alten friedens
··· der rest steht zweistöckig nahe dem leuchtfeuer
das du da hinten siehst
^


der ewige hufschmied

der ewige hufschmied brennt pferde der see
verschneidet die mähne, zersplittert das horn
bricht aus die augäpfel und klaubt sie zur glut
und schmiedet und schmiedet im endlosen zorn

schweißzungen reißt er aus haarigem maul
speit meerwärts den traum in das salzige glas
lacht höhnisch der gischt in ihr eisiges graun
schlägt eisen um eisen zum passenden maß

der ewige hufschmied peitscht pferde der see
treibt nagel um nagel in berstendes horn
stößt weit auf das meer der augäpfel glut
und schmiedet und schmiedet im brennenden zorn
^


die not des sehers
··········· für R. Pietraß

näht ein revers dem hölzernen pferd
für köpfe der zimmrer und krieger
kein stumpfes auge den zug euch verwehrt
kein eisen brennt lippen der lieder

und auf den treppen bleichen die toten
und geben ein beinern gerüst
von stadt und stätte seid ihr die boten
versteht das rot, gleißen des lichts
^


geklirr

blasser mond montag morgen
······················· auf sternenblech
vorm sonnenball tanzt doch ein größrer rest
geklirr von metallgeschirr
ja, doch ein fest und irrenoffensive
···················· pest
rast durch die stadt
in einem dunklen loch vor ort
beschlägt der schmied ein roß
················ sternentanz
am tellerrand der löffel wippt
der troß zieht durch das tor
··············· geschwind im bellbefehl
der drachen schwenkt schwanz
steigbügelpendel
········ lieb die fußspitze sucht
jetzt flucht der reitersmann
säbel blitzt, das auge blinkt
tanz
^


flüchtiger kuß

führt seine hand durch rußiges haar
streift von der schulter stählernen span
gibt ihn dem glühenden guß
der kuß des leuchtfeuers den müden winden
sät ruß und der muschel rauschen erlischt
die gischt leckt sein haar
^



- millenniumvers -


bahnübergang


bahnübergang

die zeit weht hin in schleifen
der horizont ein breites band
im stapel rote, weiße streifen
die landschaft braun getöntes glas

am bahndamm eine spiegelwand
das haus schwingt mit in patina
dabei auch ich, die tasche in der hand
ein doppel auf den gleisen

drin ruht der blick im weiten
und blass momente reisen
mein kopf rast hin wie masten
was nah kommt, ist gerafft

und in die ferne stiert
vor / hinter mir ganz klar
der mit der tasche in der hand
durch einen blassen blick
^


zahltag


zahltag

was bleibt für dich, mein sohn
vertreibt die ungeduld über den rest
an muße, die schaudern
diesen augenblick vergessen läßt

ich trag an dem betrag an meiner brust
vermögen bis zum rand der welt
vermochte gestern bis zur brüstung
die nun erneut vier wochen hält
^


frau welt parliert

ich stamm vom vater dieser welt
und blick herab, wie's mir gefällt
auf meiner wiese weidet ihr und schaut nicht auf
so ziemt euch keine wahl

was scheren mich beton und glas
wer nimmt das maß für diese spiegel
meiner wandelein: tangieren wen?
beinkleider hier zu prüfen mutet unbequem

spucknäpfe sprudeln halber höh
schnupftücher knarren an den masten
ihr getzet euch der rüstung
ranker türme dank

sie mögen ihm wohl nägel sein
und reizen mich beim rasten
^


symbiose

Helmut verfolgt die genesis Erichs
weil diese hätte seine sein können
Günter verfolgt die genesis Hermanns
weil diese
Richard verfolgt die genesis Hartmuts
weil dieser hätte jener
Pavlos verfolgt die genesis Stefans
weil dieser hätte
Pavlos verfolgt
^


ins grün & blaue

decken breiten, decken schütteln
ritsche, zunder, rauch entfachen

reißig sammeln, stubben spalten
entgoltne ware: täglich frisch
stöcker spießen fisch für fisch
decken breiten, rauch entfachen

brotlaib teilen, krume fassen
räuber prassen
leiblich dich und mich

feuerwache
wasserlache
^


mit kind & kegel

tritt pedale, schwinge zepter
spielt der pegel um normal
in diesem wasser gabs einst aal
zu fangen mit der reuse
und nächtens vor des amtes preuße
auf der hut
nur mut, mein kind
versuch den kiesel
flach im spiegelschlag
^


das verbotene zimmer

die tür schlägt zu
die hand ertastet bücherrücken gleich papieren haut
und fühlt in einem offnen mund den laut
der lachen meint
doch wie das licht verwiesen ist des raums

der an der türe steht
ist treiber närrischer gefährten
des fäuste walken sperma, speichel
schweiß hindurch der pforte rost
geleiten dunkle ornamente
die schwärze hier zu stärken

entlang papierner leiber lenkt sein tritt
zur kollision mit einem aufgeschlagnen blatt
das matt ein grau fingiert
doch dunkelheit nur schwarz gebiert

denn dunkel ist
und lesbar nur mit händen
die traumverlorne schrift
die mannshoch sich an wänden türmt

und abermals ein kegel licht
empfiehlt dem einen blatt ein grau
erneut ein ton erinnert an das treiben vor der tür
ehe sie zugeschlagen

und deine hand
vermutet einen laut

und wieder, wieder blitzt ein licht
in unsren raum
ein und derselbe taube laut stimmt ein
plombt kieselrund auch deinen mund
strebt fort

der pforte zu
bis einer kommt
und ahnungsvoll versteht
als ein asket
mit trocken-, dunkelheit doch längst
vertraut zudem mit jenem vor der tür

der
hebt die stimme
für und für und mich und dich
mahnt pflicht
kündet von licht
vorläufig dauerhafter dämmerschein
zwecks buße fürs beharren zum relief

verloren sediment aus horn, haut, haar
erfahre wandelung zu patina
kraft schmeicheleien
schattenstarken exponats

gedämpftes licht

entbindet uns des haderns mit erinnerung
kein kleidsam klinkerputz nun dem geviert
erfüllen wir als lichtbefangen saum zweckvoll
gedenken, mahnen

achtung
dem stolperrost der pforte
an diesem orte soll und zoll
^


zapping

ein läuten auf allen kanälen
aus amerikanischen büros
das klingeln von telefon

schon tropft ein wasserhahn
und immer hölt und steter
rollt den hang hinab beinhart
im fluchtauto und spiels noch

mal so, mal so spielt's glück
drum heute nichts dabei
mit gewähr die stimme der frau

auf der stufe der banjoman
in orange und pink und grün

auch grau bewegte saiten
in mittleren breiten regen
normton
^


millenniumvers


millenniumvers

geäst in der erde am wegrand
entlang der lichtleiste quer durch die nacht
es heißt
büsche sind´s und sträucher
sie schlagen aus im nächsten jahrtausend
hab acht
^



- Lyrisches Parkett -


Engel stürzen

denn es gibt sie
auf Erden
^


Der ist

ein Flaschenhals,
nicht mal eine Flasche!
In dem ist nichts drin,
der macht sich bloß eng.
^


Ewig Partisan

Unser Paradies ist der Untergrund,
unser Himmel ist Eure Hölle.
^


Zerberus

Für Dich mag dies bloß Pforte sein,
doch mach mich nicht als Pförtner klein.
^


Süß,

ein Damenbart wie eine Vanillestange
^


Grün

Die Bohne und die Schote
die denken
die ganze Welt ist grün
^


transfer

steine rollen übers land
des bauern mühe unterpfand

rolln auf 28er reifen
unterm eimer gänge greifen

zahn um zahn, die schenkel lahm
vom feldrainsteingrab einen eimer lad

ich für meine trockenwand
von des bauern steinig land
^


Optimist

Was soll ich mich dem Elend widmen,
das uns noch nicht erkannt.
^


Volksmund

Ich bin angehängt damit
wie der Herrgott ans Kruzifix.
^


Lied der Partisanenkinder

Im Wald, in magerer Höhe,
auf heißem Splitt, im harschen Schnee
zogen sie hin.
Im Sinn nur uns, obwohl noch unbekannt von Angesicht,
in Liebe nur für uns, fürs Land.
Und mit Gewicht und größter Last zogen sie hin
auf Esel, Maultier, Ochsenkarren,
mit uns so schwer für einen Tagesmarsch und mehr,
für einen Wochenmarsch und mehr
im harschen Schnee, auf heißem Splitt
und abermals für Tag um Tag auf ihrem langen Ritt.
Der führte sie von Hof zu Hof, von Haus zu Haus,
am Rand des Dorfs stand Freund, stand Feind und ward ge-stellt an mancher Wand.
Das Land war nicht von jener Weite, die wir heute auf den Karten übersehn,
es war Erinnerung an Arbeit, Last und Lohn und mehr,
ein Wochenmarsch in Wiederkehr.
Es ward zur Jagd, die trieb sie schließlich voneinander fort,
der eine starb, die andere erst Lager, dann an fremdem Ort.
Der Bruder weiß nicht, wo die Schwester harrt der Rückkehr in verlorenen Stand,
die Schwester weiß nicht, wo der Bruder ist verscharrt.
In welches Land noch soll es gehen,
in welchem wartet Wiedersehen?

Nein, war kein harsches Blut, als viele Jahre waren vorbei,
hat sich's verlaufen, vertrocknet, wusste nicht, wo es zum Rinn-sal ward,
wo's Grind abschlug und staubte grau.
Wo wir uns fanden hier im Wald, im Magen flau,
weil unser Kapitan uns zwar noch führt, doch sich nicht zeigt.
^


das bildnis der dora g.

sehn wir in unseren gesichtern welken
unserem leuchten stiehlt sie die lichter
schattige haut bleibt, falten, fahl fällt das haar
graues kann auch glänzen
nicht vor ihr, bei mir fehlt
was sie werktäglich am antlitz staubt
und ihrem zuschlägt, partikelfein
schon am abend, wenn sie beschwingt
das haus verlässt und daheim ihre glut bläst
aus unserer asche, mein spiegel schwörts
bangen wir vor weiterem tag
^


Mondtag

Sterne bleichen nicht
zinkgraue Morgenwand
gegen den Zenit getrieben

Blech vorm Kopf
die Kinderwanne umgestülpt im Hof
Bad für die Kleinen und Unterstand

Da, wo der Stöpsel fehlt
über dem Abfluss, matter Schein,
der Mond, der nicht weicht
^


Vogelspuren

im Schnee

Da sind Zitate
verborgen
^


Naturgedicht
··········· für Reiner Kunze

Verzeihn
reimt sich zu Stein

In ihm rumort der Bruch
vom Fels, als Hall

Ob er drauf hört, als Ding?

Fällt kaum zur Täuschung
bricht nicht aus Fallsucht
_ein
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Lyrisches Parkett
··········· für Richard Pietraß

Des Dichters Bulle, Bär, Applaus
schnaubt, brummt, braust
Der Händler bietet Handschlag auf den Kurs
spricht nicht von Provision, doch fällig
wird sie schon

Die Hauptversammlung im Äon
stimmt den Beschluss
zum Musenkuss
^

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