Monik Sos


Vor dem Gesang

Vögel im Flug
reißen die Schnäbel auf
Wind zieht hindurch, reckt Hälse
fürs nächste Lied


Die Schutzpatronin

Ein Sowjetsoldat war nach dem Krieg mit einigen Kameraden in Deutschland geblieben und hielt Wacht über seinen Sieg. An langen Tagen ritzte er mit dem Bajonett in den Baum neben sich eine Figur, die sehr an sein Mädchen daheim erinnerte. Viele Jahre blieb er im Land und in dieser Zeit wuchs auch der Baum und mit ihm das Mädchen in seiner Rinde.
Als es so groß war wie der Soldat, kam auch die Zeit, dass der Soldat nicht mehr aufpassen sollte, seine Sachen packte und heimfuhr. Das Mädchen wachte noch eine Weile, doch bald wurde der Baum gefällt. Vielleicht brauchte man Holz für den Winter oder wollte nun wirklich tun und lassen wie einst.

© I


Vergebliche Jagd

Wenn du durch das Schiff rennst
und die eine Mücke sich auf dem Oberdeck versteckt
und die andere in der Kombüse
wenn du beide nicht erwischst
dann musst du auf der Arche Noah sein
Wenn auch noch ein Kapitän in seinen Bart brubbelt
Wo führt uns das bloß hin


Über den besten Dichter

Er wandle Welt in Sprache
schwelgt der Kritiker, der Moderator stimmt so angefacht mit ein
zweimal Lobgesang, ich pflichte diesem Bund nicht bei
Der Huldigung des Huhns, durch dessen Auge seien Himmler,
dessen Hühnerfarm und weitre Gräulichkeiten zu beschauen,
das angeblich erzählt, doch uns zu Hühnersprachlern macht
Ja, scharren wie die zwei, ich schließe nicht den Dreierbund
wo Sprache gackert Welt

© I


Sie ziehen fort oder Lang vergangen

So groß der Kahn, über Dächer hinweg
die Taue zum Festmachen gereicht
in hintere Straßen und Gassen
Am Pier die Abschiedsgalerie über sieben Etagen
und die Köpfe weit zurückgebogen ins knackende Genick
für den Blick hinauf zur Reeling
Ein Tüchlein zu erkennen in bekannten Farben
einen Ruf zu erahnen
einen oft vernommenen


Einspruch

Odysseus war kein Abenteurer, heim wollte er
Nicht reisen, nicht auf große Fahrt
einfach zurück nach Ithaka

Was sollen Zauberinnen angesichts derer, die Männer gebären
unter Männern mitreden und Penelope hält sie hin
keine Herausforderung, lästige Handarbeit
Was sollen Zyklopen und Riesen angesichts dieses Sohns
hinter dem alles andere klein wird
Was sollen Harpyen und Kannibalen angesichts alleweil hungriger Mäuler
nach Lust und Leid aus dritter Hand

Beschwören wir Rumtreibereien zur Staatsaktion
plausible, unter vier Augen, bei gezogenem Lidstrich
Siehst du die Sterne funkeln in der Pupille
spürst morgens im fremden Garten den Tau unter den Sohlen
Die Worte auf den Lippen, süße, salzig
unausgesprochene Verträge über Handelswege, Warenströme

Von wegen sieben Meere zwingen, fremde Welten
Götterlaunen, Ungeheuer, wieder Wellenberge
Von wegen mit den Kameraden sein, Gefahr entgehen
mit dem Speer an fremden Ufern stehen, Gesänge säen
ergriffen sein vom eigenen Tun
Von wegen Pilgerfahrten museal, ach, was mal war
die Zeit von Helden, da es stets glückt im zehnten Jahr

Von Haus aus brächte er alles mit, das zu bestehen
heim kehrt er erbarmungswürdig
in Verse gekleidet die unseren Göttern beschiedene Fahrt


Wo den Hund begraben

Nach vergeblicher Erziehung
selbst mit dem Seil überm Ast
Zum Beispiel im Wald
der vom Wind geworfenen Fichten
Beim Räumen des Bruchs
wird ein Stamm abgetrennt
und der Wurzelteller fällt zurück
ins Loch mit Hund
als wär nichts gewesen, nur
etwas Grün fehlt obendrauf
Und Hundejaulen
nach diesem Schlag


Zurück von Medusa

Kehre nicht um
komme fort
da raunt kein steinernes Band
Schaue nicht zurück
wachse nicht hinein
banne ihr Spiegelbild auf der Brust
Gewiss, ihrem Haupt entspringt
ein beschwingtes Ross


Der Puppensammler

Aufrecht
in Regalen und Vitrinen
schauen sie seine Welt
ohne mit der Wimper zu zucken


Im Garten meiner Großmutter moderne Version

Das einstige Gemüsebeet nun Carport
drei Bäume für Schatten
Die Granatäpfel aufgeplatzt, vergessen
purpuren quellen die Kerne heraus, grintige Scham
Der zweite ein gewöhnlicher Apfelbaum
an den Zweigen gelbrote Süße im Saft
auf den Zweigen keine Paradiesvögel
Zwischenstopp für das Schwalbenpaar, ihr Nest am früheren Stall
Drittens der Feigenbaum mit vertrockneten Früchten im Laub
darunter im Staub zwischen Blümlein goldgelb
Herbst-Goldbecher (weiß das Internet, nicht zu verwechseln mit Krokus)
Schräg gegenüber der alte Maulbeerbaum
vielmals abgestockt, Grünzeug für Seidenraupen
(Knuspern und Wispern in den Blätterbetten im Puppenhaus)
Am Zaun wuchert Basilikum durch die Maschen
Das Tor schließt Draht, überflüssig ein Schloss
die Früchte verdorren ungepflückt, kommt nicht irgendwer daher
ja, wollen doch alle fort, Spinnweben flirren
morgens die Nachrichtenlage ins Tau
Ringsum bewaldete Hügel, tiefgrüner Wellenschliff schneidet den Horizont
hinter der Schneide schon Grenzland (Exil)
Sieh dort den Strauch, ganz vertrocknet die Zweige voll Schneckengehäus
Überrest älterer Flut
Auf Satellitenabbildungen sah ich Großmutters Tuch
schwarz überm aschfahlen Zopf (Altweiber kabeln Gespinst)
weiße Marmorkarrees und Ideen von Blumen in Papier, Plastik, Wachs
Südlich am Rand dieser Winkel im Kernland einst mächtigen Reichs
Apfel-, Granatapfelkern
Wir sind nicht zu spät dieses Jahr an der Via Egnatia
Heut dreht der Wind und die Brandung rollt mit Plastik und Kies
zehn Metern Strand fehlt jetzt Sand
Jorgos streamt seine Playlist und heizt den Grill
Lieder erklingen, Gebell draußen, Autos fahren vor
Milton mit Mikro plus Handy singt uns plus Tochter Maria S'agapo
hopp, Tanz über Meilen ho, ho

© I


Im Garten meiner Großmutter klassische Version zweite Fassung

Purpuren leuchten die Kerne der Früchte, geborsten, verpasst
dörren Granatäpfel grau
grintig entblöst paradiesische Scham. Köstlich dicht nebendran
gelbrote Äpfel im Saft
Maulbeerbaums Laub einst fürs Puppenhaus, Futter dem Seidengetier
Grünzeug für ellenlang Zwirn
Hinten im Schatten die Früchte der Feige vertrocknet im Baum
goldgelb sechs Blumen im Staub
Mannshoch Basilikum, wuchert das Königsheer wirr durch den Zaun
kenn's als Kulturen im Topf
Draht hält das Tor, für ein Schloss keine Not, lang schon tönt weh das Lied
Fort immerfort weg vom Dorf
Spinnweben flirren die Nachrichtenlage am Morgen ins Tau
Altweiber kabeln Gespinst
Tiefgrüner Wellenschliff schneidet den Horizont, karstbrauner Rost
darunter Schattengewölk
Hinter der Schneide schon Grenzland, Exil, Labyrint ohne Garn
Frauen und Kinder voran
Südlich am Rand dieser Winkel im Kernland einst mächtigen Reichs
Apfel-, Granatapfelkern
Auf Satellitenabbildungen seh ich den Nabel, das Tuch
schwarz überm aschfahlen Zopf
Goldbecher blühn aus dem Staub, wir Besucher sind spät dieses Jahr
sinnen der Gartenbank nach
Sieh dort den Strauch, ganz vertrocknet die Zweige voll Schneckengehäus
Überrest älterer Flut
Heut dreht der Wind und die Brandung erschüttert Geröll, Plastik, Kies
zehn Metern Strand fehlt jetzt Sand
Jorgos spielt aus der Konserve und grillt nah der Egnatia
Lieder laut, lauter Gebell
Milton mit Mikro plus Handy singt Tochter Marie S'agapo
Tanz über Meilen hopp hopp

© I


Naturfreund

Der Wald hinterm Haus vermisst
keine Lieder, die Wälder dahinter
nicht deins, nicht meins

Die Wiese vorm Haus wiegt
keine Nebel, im Tal nicht
noch der Fluß am Morgen

Der Mond heute Nacht rollt nicht
als Lampion übern Horizont, nicht traumwärts
die der größeren Planeten

Glaube nicht der Flüsse
launigem Geschwätz, Raunen
dem Wald nicht, dem Mond


Räuberleiter einarmig
(Kraftakt)


Die Faust um seinen Hals
hebt hilfreich empor
Arme pendeln in Balance
Beine strampeln hinterher

Hoch und höher
zunehmendes Gewicht
im festeren Griff
ohne Luft ans Licht


Privatwald mit Zaun

Im Westen, ließe sich sagen, oder hinten:
Ahornschonung vom Vorbesitzer gepflanzt
dünne Burschen die Stämme
zu schmal zum Namen, Herzen ritzen

Davor Koniferen zusammengerückt wie Kegel
keine Mutter mit ihren Schützlingen
obschon eine hinausragt:
S. giganteum, weiche Rinde, filzig, heute leicht feucht

Mittendrin eine Hütte, nicht größer
als Baurecht gestattet, am Wiesenstück
weder Teppich noch Auslegware
unter Schauern von Kirschblütenblättern

Aufgeworfene Rasenstreifen
durchfurcht von Reifenspuren
an Schwengelpumpe und steinerner Tränke
tunkt Federkiel mein Maul grasig

Vorn zwischen Holunder und Brennnesseln
Tannen, klein, gelegentlich zu übersehen
Das Tor im Osten mit Zahlenschloss
zwischen Laufmaschendraht, verbeult vom Windbruch

Oben, überm Giganten, schäumt das Sternenufer
mit Milchstraßeneck in Baumwipfel hinein
am Stamm, ihm zu Fuße mein Thron ein mürber Wurzelstock
nun gut: ein Stuhl, Nacht im Auge, im Ohr


Es war nicht Marie A.

Keine Erinnerung an ihr Gesicht
ich kann's nicht, weißer Fleck
Doch die Lichtung, auf der wir uns trafen
die staksige Wand drumherum, hohe Kiefern
Davon gibt es viele, die mich erinnern

© I


Fürs Hühnerhaus

Suche
am Strand unter den Kieseln
einen Stein wie ein Ei
Du findest keinen
Das Meer gebiert nicht schonend
trotz Harmonien im Wellengang
Erprobt mit Wassergetier
fiel's den Vögeln in den Schoß
zwischen den Gesängen ums Revier
Kopien wären Zufall
wofür




Kein Ort

Ich weiß, wie du und andere
ihn nennen unterm Grauschleier
vorm Kühlregal mit nachgereiften Früchten
im Stop-and-go zu jenem fixen Punkt
wo ich schon harre aus


Sommerhaus

Das Skelett der Eidechse hält zusammen
was Ameisen ließen im Herbst, Winter
einem Frühling, die kleine Sorte
die sich um Knöchelchen schert und Gänge
unterm Putz des Brunnens, so lange trocken
bis zum Nachtigallenstreit und den Schwalben
die bauen wie letztes Jahr




Meldung

Nicht Vater, die Hunde des Vorbesitzers
liegen auf diesem Grund begraben

Als Wilderer schlich er umher
bis vom Gutsherrn eingestellt

ohne Schlingen und Eisen
durchs Dickicht im Auftrag zu streifen

vom Ansitz den Jagdfrieden pflegen
kirre machen für des Pächters Schuss

im Tross mit Tagesbefehl
vom Horn bestellt, zusätzliches Handgeld

Schwärzte den Nachbarn an, der Rinde schälte und
den Borkenkäfer brannte ohne Feueranmeldung

Rauch zog durch das Geäst die Wiese hinab
die vom Löschzug kennen solchen Dunst im Tal

Die Blicke vor den Häusern im Dorf
folgten den Vögeln in Formation

Der Schwarm zog ohne Schatten
unter der Sonne hin


An Deck

Fahles Blau über uns
Zwei Flugzeuge ziehen
Kondensstreifen zum Kreuz
Treffer, versenkt

Gedichte+

Im Loop:
 > BankTurm        > war@home Wolfesruh        > Gutachten und Fürstenlob, aus dem Arbeitsbuch eines Poeten        > FORUM WEGGESPERRT        > Das HelenaKomplott        > Der Glückliche
Kontakt + Impressum